Der Ausstellungstitel „Isa Dahl – als ob“ verrät denjenigen, die noch keine Bilder der Malerin gesehen haben, wenig davon, was sie erwarten dürfen. Und doch ist er treffend gewählt, denn ein ‚als ob‘ gibt ja sprachlich zu erkennen, dass man Vergleiche zu etwas konkret Bekanntem ziehen möchte, Bezüge zu Assoziationen sucht, ohne sich doch endgültig festlegen zu können. Tatsächlich sind Isa Dahls Gemälde deutungsoffen, entziehen sich einem verbindlichen ‚das ist‘. Sie zeigen vielmehr die Möglichkeiten des Mediums Malerei an sich und das Potential der Künstlerin, die es sich erarbeitet hat, diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
Isa Dahl begann ihr Studium der Malerei 1984 an der Kunstakademie Stuttgart, wechselte dann an die Kunstakademie Düsseldorf zu Dieter Krieg und schloss ihr Studium 1991 ab. Sie lebt und arbeitet in Stuttgart, wo sie 1994 die Malergruppe maximal gründete, mit der sie bis heute viele Ausstellungen macht. Von 1992 bis 1999 erhielt Isa Dahl jährlich Preise oder Stipendien, darunter den renommierten Villa-Romana-Preis des Deutschen Künstlerbundes, der einen längeren Arbeitsaufenthalt in Florenz beinhaltet. Seit 2005 entwirft sie auch für die Karlsruher Majolika. Isa Dahls Arbeiten kommen an für Kunst eher ungewöhnlichen Orten besonders zur Geltung, wofür nicht nur die Präsentation im Hockenheimer Wasserturm ein Beispiel gibt sondern auch das Kunstdorf Unterjesingen, ein Weinort im Schwäbischen, der im vergangenen Juni seine rustikalen Häuser für ein Wochenende der modernen Kunst öffnete. Die Reihe von Isa Dahls Ausstellungen ist lang und dicht, wovon die hier ausgelegten Kataloge nur einen Ausschnitt geben.
Charakteristisch in ihrem Oeuvre sind Bilderserien, die durch formale und farbliche Nähe als Gruppen erkennbar sind und unter gemeinsamem Titel präsentiert werden. Nur so, in Sicht, eben still, Wanderung sind solche Bildserien-Titel aus den Jahren 2009-2012. Manchmal glaubt man, vegetabile Formen zu erkennen, Blätter etwa, dichte Fasern, nass herabhängende oder ineinander geflochtene Stängel von starker Plastizität. Gespinste in einem diffusen Farb-Licht-Raum; unaufgeregte, in sich ruhende Ausschnitte einer imaginären Unendlichkeit. Diese Werkserien haben nichts Wiederholtes, Eintöniges sondern versinnbildlichen den ununterbrochenen Werdensprozess des Schöpferischen, sei es in der Kunst oder in der Natur.
Bei allen Assoziationen zu konkreten Motiven geht es der Künstlerin jedoch letztlich um Malerei an sich, um die Schaffung eines Bildraumes mittels der Farbmaterie, die in dünnen Lasuren aufgetragen wird, und mittels Strukturen, die sowohl verschiedene Ebenen erkennen lassen, gewissermaßen also objekthaft wirken, als auch Strukturen die Dynamik oder Statik veranschaulichen; die Festgefügtes, miteinander Verwobenes oder Vorübergehendes, Augenblickhaftes einer Bewegung deutlich machen.
In Wikipedia findet sich der inhaltsschwere Satz: „Durch Formen und Farben lotet Isa Dahl das raumzeitliche Bildkontinuum aus.“ Was ist ein raumzeitliches Bildkontinuum? Schauen wir uns die hier im Wasserturm präsentierten großen Rundbilder, die Tondi, an, um das Wie der Bilder und auf diesem Wege auch die Frage nach dem raumzeitlichen Bildkontinuum zu klären.
Das kreisrunde Format wird seit der Antike für Gemälde und Reliefs verwendet. Es konzentriert das Bildthema, verleiht der Darstellung durch die vollkommene Kreisform eine herausgehobene Bedeutung und verstärkt so die Wirkung. Die Komposition erfährt allein schon durch dieses Format eine Geschlossenheit. So öffnen sich auch Isa Dahls fünf Tondi in keiner Weise ihrer Umgebung. Vielmehr erzeugen Kompositions- und Malweise eine sogartige Raumtiefe, der sich der Betrachter nicht entziehen kann, weil er optisch unwillkürlich geführt wird. Doch korrespondieren diese für den Wasserturm wie geschaffenen Tondi mit dem kreisrunden Grundriss des Gebäudes und mit seiner innenarchitektonischen Gesamtwirkung, die durch das natürliche und das künstliche Licht noch betont wird.
Isa Dahl trägt die Ölfarbe in dünnen Lasuren, durchscheinenden Schichten auf, deren Luzidität auch durch die Farbzusammensetzung bedingt ist. Sie schätzt an der Ölfarbe zudem die geschmeidig weiche Pinselführung, die dem Betrachter in schwungvoll fließenden Bögen vor Augen steht. Eine besondere Rolle spielt die Grundierung auf dem hölzernen Bildträger, nämlich gleichmäßig viele Schichten von Weiß, das durch Pinseldruck wohlbedacht aus den übergelegten Farbschichten wieder hervorgeholt wird und maßgeblich für die innerbildliche Lichtführung ist. Alle hier gezeigten Kompositionen haben eine starke räumliche Wirkung mit einem klaren, tiefer gelegenen Zentrum, in das man wie durch eine Öffnung in einen imaginären Himmelsraum blickt. Die Pinselstriche, so sagt die Künstlerin, sind Kürzel für einen Inhalt; Malen als geistiges Sich-Einlassen; als Selbstentäußerung; als Streben, im Schöpferischen etwas Vollkommenes auszudrücken, so dass mit Fertigstellung des Bildes die Assoziationskraft des Betrachters freigesetzt wird.
Mit einfachen Mitteln, aber in einem komplexen Prozess werden Raum, Öffnung, Rhythmus, Licht und Schatten, Bewegung und Konsistenz erzeugt. Dabei ist es besonders wichtig, aus der Bewegung heraus einen Ruhepunkt zu finden. So zieht beispielsweise im rechten Tondo die Sogkraft der scheinbar endlosen, Bänderformen den Blick schlaufenartig in die Tiefe. Diese im weitesten Sinne „Motive“ sind eng aufeinander bezogen, rhythmisieren das kreisrunde Gemälde und umschmeicheln das luftige Zentrum mit seinen Farbschleiern, die gewissermaßen aufgelöste Farbmaterie. Das überwiegend auf Gelb gestimmte Bild daneben wirbelt hingegen in seinen kreisenden Bewegungen den Blick ins Zentrum, ins Herzstück der Komposition, das eigentlich eine Leerstelle ist.
Ein changierender Effekt in den Farbbahnen ist besonders deutlich an dem grün dominierten Tondo zu beobachten. Wie eng aufeinander folgende Wellen ergießen sich die umschließenden Formen um das leicht aus der Mitte gerückte atmosphärische hellblaue Mittelfeld. Der Schatten wirkt homogen, ist aber farbig, wie ja auch Schwarz aus den Spektralfarben zusammengesetzt ist und bei genauem Hinsehen nur selten reines Kolorit aufweist. Diesen diffus schattigen Partien als schwer fassbaren Raumsegmenten steht der überwiegend gestische Charakter der Kompositionen, die individuelle Handschrift bzw. Pinselführung der Künstlerin deutlich entgegen. Oben und Unten sind aufgehoben, Bewegtes und Statisches ins Gleichgewicht gebracht wie in einer Momentaufnahme. Kompakte Teile wechseln mit schleier- oder spinnwebartigen Schichten, Licht durchstrahlt den unbestimmten Zentralraum, ohne dass eine konkrete Lichtquelle ausfindig zu machen wäre. Schemenhafte Formen, die auch bloße Lichtreflexe, optische Täuschungen sein können, scheinen hervor hinter kreuzförmig übereinander liegenden, diagonal einfallenden Lichtstrahlen, die rein maltechnisch feine, freigelegte Linien der weißen Grundierung sind. Die Leuchtkraft der starken Ölfarbe, das Gelb, Blau, Grün zusammen mit der Wirkung des durchsetzten Weiß lässt die Gemälde geradezu übernatürlich erstrahlen und in der stillen Betrachtung versenkt man sich geradezu in ein schier endloses Farbenmeer, das in seiner Bewegtheit doch eine ruhige Geschlossenheit hat.
Martina Wehlte
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