Die drei Künstler, deren Werke in der aktuellen Ausstellung im Kunstverein Speyer zu sehen sind, haben sich in der aktuellen Kunstszene mit ihrer Formensprache und ihrem Gestaltungswillen als eigenständige Persönlichkeiten etabliert. In den 1970er Jahren studierten sie an der renommierten Städelschule, der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt, und wurden anerkannte Vertreter der Gegenwartskunst. Ihre Positionierung wird deutlich an ihren zahlreichen Ausstellungen, den öffentlichen Ankäufen, der Vertretung durch namhafte Galerien und Beteiligungen an wichtigen Kunstmessen: an der Mitgliedschaft beispielsweise in der Darmstädter Sezession (Werner Neuwirth) oder an der Auszeichnung mit angesehenen Preisen (den mit Darmstadt verbundenen Georg-Christoph-Lichtenberg- und Wilhelm-Loth-Preisen für Matthias Will und Gerd Winter). Die beiden Maler Werner Neuwirth und Gerd Winter haben sich im Spektrum der abstrakten Kunst eine je individuelle Position erarbeitet, ebenso wie der Bildhauer Matthias Will mit seinen Raumzeichen. Die drei Künstler haben in unterschiedlicher Konstellation schon zusammen ausgestellt und wir können sehen, dass sie sich klar voneinander absetzen und doch Gemeinsames haben, was eine solche Schau ja erst möglich macht.

Alle Drei konzentrieren sich auf das ihrem Medium immanente Potential: die Malmaterie, Farbeffekte, das Verhältnis von Fläche und Linie, Körper und Raum, statischer Schwere und dynamischer Leichtigkeit bei den plastischen Objekten. Kein erzählerisches Moment, keine Wiedergabe der Natur oder einer wie auch immer verfremdeten äußeren Lebenswirklichkeit lenken von dieser Auseinandersetzung mit dem autonomen Status der Kunst ab. Die Werke fügen sich nicht in den gewohnten Alltag unserer Umgebung sondern demonstrieren eine Selbstständigkeit, die unseren Seherfahrungen zunächst befremdlich erscheint. Sie zwingen in ihrem kontemplativen Charakter zum Innehalten, zum Reflektieren, aber auch dazu, sich zweckfrei auf die Ästhetik, die Wechselbezüge zwischen Formen und Farben, die Schönheit eines Rhythmus und die innere Spannung von Werken einzulassen.

Eine solche Schönheit im Rhythmus der Formen und eine innere Spannung fallen beim Betreten der Ausstellung sofort an den Plastiken Matthias Wills auf. Da ragt nichts spitzwinklig und sperrig in den Raum, um ihn etwa zu zerschneiden, sondern Rechte Winkel sind einander so zugeordnet, dass sie sich zu einem imaginären Körper fügen; Bögen greifen ineinander, geben nicht die strenge Senkrechte und Waagerechte vor sondern sind in die Diagonale gekippt, umschließen einen Leerraum mit fantastischer Leichtigkeit: schwebend, aufschwingend, als seien sie von großer, unsichtbarer Hand in die Luft gezeichnet. Sie suggerieren Bewegung, die nur in einer Momentaufnahme festgehalten scheint; ein labiles Gleichgewicht, von dem man kaum glauben will, dass es hält. Die Auflagefläche ist oftmals sehr klein, manchmal nur ein Auflagepunkt, und die auseinander strebenden Vierkantelemente werden durch vergleichsweise dünne Stahlseile gehalten. Die Plastiken sind aus korrosionsbeständigem Stahl oder – seltener – Eisen, blank und kühl die Wirkung des einen, matt und warm die Patina des anderen. Der Sinn für die Materialität des Metalls und sein besonderes Ausdruckspotential verbindet Matthias Will sicher mit seinem früheren Lehrer Michael Croissant. Doch während dieser in seinem Schaffen die stark abstrahierte Figur umkreiste, die letztlich Bezugsgröße blieb, arbeitet Matthias Will davon völlig losgelöst in der Dreidimensionalität als einem freien, eigengesetzlichen Gestaltungsraum. Die plastischen Elemente umschließen den Leerraum derart, dass der Eindruck von einem imaginären ganzheitlicher Körper entsteht. Dieses Ganze steht in Spannung zu der Dynamik der vierkantigen glatt polierten Kreiselemente, die noch in sich gedreht sein können. Die Reihe von Zeichnungen, die Matthias Will hier in einer Vitrine zeigt, führen in ihrem skizzenhaften Charakter diese Dynamik vor.

Der einerseits linear zeichnerische, raum-zeichnerische, aber eben auch vollplastische Charakter dieser Plastiken findet ein Pendant in den Bildern der beiden ausstellenden Maler. Auf den Leinwänden und Papierarbeiten des Österreichers Werner Neuwirth begegnet das Über- und Ineinander von Malerei und Zeichnung, deren Bezugssystem einen Binnenraum schafft, analog dem beschriebenen Leerraum bei den Plastiken. Nicht von ungefähr hat Werner Neuwirth einigen seiner letztjährigen Arbeiten den Titel Raumzeichen gegeben. Dabei handelt es sich um einen diffusen, schwer fassbaren Raum. Wie bemisst er sich? Ist er tief oder eher flach? Die geometrischen Formen – rechtwinklige Linien, Punkte oder Kreise – geben der ‚ungewissen‘ Farbfläche darunter eine Festigkeit. Das lässt sich an dem linken Bild des mehrteiligen Ensembles an der Fensterseite gut beobachten. Der changierenden Farbfläche dieses Kleinformats geben die quadratisch angeordneten Linien und die Waagerechte am oberen Bildrand eine Struktur. Als Pendant erscheint die Arbeit mit den gelb aufgebrachten Quer- und weißen Längsstreifen, wie sich innerhalb des Arrangements noch andere Bezüge erkennen lassen. Einen geradezu luftigen Charakter haben die leuchtenden Farbkreise in der großen Delta-Arbeit; die Acrylfarbe erscheint wie aufgesprüht. Wird eine unruhige Malfläche durch übergelegte Skripturen gefestigt, so geht Werner Neuwirth auch den umgekehrten Weg und lässt auf einer einheitlichen Farbfläche den zeichnerischen Charakter dominieren oder lässt das malerisch Flächige mit dem Zeichnerischen auf gleicher Ebene in einen Dialog treten. Die beiden 2014 entstandenen Blätter Raumbasis sind dafür gute Beispiele. Auch Schriftzeichen können zum Einsatz kommen und ein innerbildlicher Rhythmus trägt die Werke. Er ist ein Charakteristikum, das Werner Neuwirth mit Gerd Winter verbindet.

Auf Gerd Winter war ich 2005 aufmerksam geworden, als seine Arbeiten auf der Art Karlsruhe zu sehen waren. Ich hatte ihn dann in seinem Atelier in Rossdorf bei Darmstadt besucht und im Sommer 2005 war er zusammen mit dem Bildhauer Armin Göhringer in einer Ausstellung des Kunstvereins Hockenheim zu sehen sowie in der Mannheimer Galerie Keller. 2005 war ein sehr erfolgreiches Jahr für Gerd Winter, denn er bekam in diesem Jahr besagten Kunstpreis der Stadt Darmstadt, den Wilhelm-Loth-Preis, der mit einer Geldsumme, einer Ausstellung auf der Mathildenhöhe und einer Publikation verbunden ist.
Die Startseite von Gerd Winters Homepage zeigt ein für seine Malerei charakteristisches Werk, das Abstraktion und naturalistische Motive miteinander vereint. Darunter findet sich eine assoziative Reihe von Begriffen wie ‚Bewegungen … Momente … Akzeptanzen … Fremdheiten … Grenzen … Harmonien …‘, denen jeweils das Wort ‚Farbe‘ zwischengeschaltet ist: das Schlüsselwort zu Gerd Winters Schaffen überhaupt. Ihm geht es um die Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe, rein optisch, aber auch stofflich als Farbmaterie, um innerbildliche Strukturen, Farbbezüge und eine auf Vertikale und Horizontale ausgerichtete Komposition. Für ihn ist Malerei ein komplexer Arbeitsprozess, dessen Ergebnis ein optisches Abtasten der Bildoberfläche erfordert, um in seiner sinnlichen Qualität erfahrbar zu werden. Achten Sie auf die Strukturen, die Einritzungen in der Farbe, die heraustretenden Grate, den mal pastosen, auch gespachtelten oder mit dem Finger verriebenen, dann wieder lasierenden Farbauftrag in mehreren Schichten. Was verbirgt sich bei Gerd Winter hinter dem Begriff ’Mischtechnik‘? Die Untermalung legt er zumeist in Eitempera oder Acrylfarbe vor, die letzte Farbschicht trägt er gerne in Ölfarbe auf, die einen organischen Schmelz hat. Achten Sie auf den Farbrhythmus in seinen auf Vertikale und Horizontale ausgerichteten Kompositionen, auf seine Vorliebe für Komplementärfarben. Gleich rechts des Eingangs sehen sie zwei Gemälde von 2011, die zum einen den kontemplativen Charakter von Gerd Winters Malerei als Stimmungsträger sichtbar werden lassen, zum anderen aber auch seine langjährige Arbeitsweise gut erkennen lassen. Da entwickelt sich ein kräftiges Grün in tonalen Abstufungen, ist von Zeichensignaturen durchsetzt und tritt in Dialog mit leuchtenden Rottönen, nachdem das Auge über einen mehrfarbigen vertikalen Streifen rechts der Bildmitte gewandert ist. In der Komposition Heller Tag sind in der linken Bildhälfte braun-rote Farbstreifen mit hellem Beige trocken überstrichen und entwickeln sich über eine multikoloristische Partie nach links in tageshelles Gelb. Oder das Ferne Klingen von 2012 in melancholischem Blau, in das mehr oder weniger deutlich erkennbare blatt- und blütenähnliche Ornamente eingewirkt sind. Für eine stilistisch neue Werkreihe stehen die beiden 2015 geschaffenen Gemälde in meinem Rücken. Farbenprächtig, von großer Leuchtkraft sind sie mit überwiegend senkrecht geführtem Pinselduktus in waagerechten Bildzonen angelegt. Eine ferne Verwandtschaft mit dem Impressionismus bestätigt sich durch den Bildtitel Giverny, der mit Claude Monet und seinem Garten verbunden ist. Tatsächlich legt die Farbenfülle die Assoziation zu einer üppig blühenden Gartenszene nahe. Die Verbindung von Malerei als reiner Farbgestaltung mit naturhaften Elementen, die Gerd Winter von jeher gesucht hat, ist hier in einer für sein Oeuvre neuen Weise gelungen.

Gelungen ist auch eine inspirierende Ausstellung und ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten und angeregte Kunstgespräche. Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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