Meine Damen und Herren,

unsere Ausstellungsräume im Damianstor sind heute übervoll von Menschen: uns leibhaftigen und denjenigen in Franziska Schemels Bildobjekten. Dort sehen wir aus der Ferne fotografierte einzelne Personen in langen, weitgehend kahlen Gängen sowie Reihen gemalter, eng aufeinander folgender Passanten, die nur als farbige Schatten gegeben sind, mal kräftiger, mal blasser, so dass der Eindruck eines räumlichen Hintereinanders entsteht. Die Auseinandersetzung mit dem Raum als optischem Phänomen, das Verhältnis von Figur und Raum sowie die individuelle haptische Raumerfahrung sind das große Thema Franziska Schemels. Es manifestiert sich in der Suggestion von Tiefe durch einen architektonischen Aufbau der Bildfläche und eine mitunter sogartige Blickführung mittels diagonaler Linien oder Bögen, die direkt auf ein kleines Foto in der Bildmitte weisen und der dortigen baulichen Situation korrespondieren. So setzt das Gemälde motivisch die Fotografie fort und lässt ein einheitliches Werk entstehen. Auch das Aufeinander-Montieren von Elementen greift in die räumliche Dimension – zum Beispiel Holzplatten vor Leinwand –oder die Aufbringung eines Blattes mit Abstandshaltern, so dass die kolorierte Rückseite am Rand aufscheint.

Die Auswahl der ca. dreißig Werke Franziska Schemels – vorwiegend von 2013 bis 2015, aber auch aus früheren Jahren – markiert eine erkennbar eigene Bildsprache, die nicht intuitiv, aus einer plötzlichen Idee heraus entstanden ist, sondern die sich konsequent entwickelt hat. Die Bildobjekte erscheinen wie in die Fläche geklappte Architekturen, die auf eine kleine Fotografie zulaufen. Sie ist zumeist tiefer in den Bildkörper eingelegt und hat eine zentrierende Funktion, sowohl kompositorisch als auch motivisch. Der symmetrische Aufbau in streng geometrischen Formen gibt den Arbeiten einen unterkühlten, kalkulierten Charakter, der durch die überwiegend schiefergraue und dunkelbraune Farbigkeit verstärkt wird. Die Aufnahmen von Unterführungen, U-Bahn-Stationen, Treppenaufgängen und endlosen Rolltreppen, von schmucklosen, funktionalen Architekturausschnitten entsprechen dem nicht nur sondern geben vielmehr diesen Gesamteindruck vor.

Franziska Schemel hat ihre Ausbildung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart absolviert und lebt seit 1990 als freischaffende Künstlerin in Karlsruhe. Sie kommt, wie sie selbst sagt, von der Zeichnung her, worauf die Bedeutung der Linie als die Fläche segmentierende, hart trennende Kraft noch hinweist. Auch die wie in einem Leporello aufgereihten gleich großen Figuren deuten darauf hin. Sie haben einen scharfen Umriss und bewegen sich symmetrisch auf die Mitte der Komposition zu, folgen einander oder begegnen sich. Doch sie können auch derart schemenhaft in die Malmaterie eingebettet sein, dass man sie erst bei genauem Hinsehen entdeckt. Überhaupt ist die farbige Strukturierung der Malfläche von besonderem Reiz. Die Mischung aus Acryl und Pigmenten wird in mehreren Schichten verarbeitet, die durch Beimengung von Sand einen reliefartigen Charakter bewirken. Dabei können farblich andere Unterschichten stellenweise durchscheinen und einen tiefblauen oder warmroten Grundton vorgeben.

Ehe wir uns den Aufbau aktueller Arbeiten Franziska Schemels genauer ansehen, lassen Sie uns einen Blick auf die kleine quadratische Leinwand von 2006 werfen, die Nummer 1 in der Werkliste, eingangs der Ausstellung. Auf der leicht versetzten Mittelachse gehen die charakteristischen Figürchen hintereinander, an den oberen Bildrand sind schwarze Aussparungen gemalt. An ihre Stelle treten alsbald motivisch minimal variierte Fotos, die auf Aludibondplatte gezogen und mit Plexiglas abgedeckt sind. Strukturell lässt sich das kleine Bild von 2006 gut mit den 2011 entstandenen Fischen (Nr.12) vergleichen. Diese fünfteilige Arbeit wurde von einem Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln inspiriert, als Fischschwärme zu den Schiffen im Hafen schwammen, um die über Bord geworfenen Reste ihrer Artgenossen zu verspeisen. Die oberen rechteckigen Aussparungen an den Holzplatten sind nun mit Fotos von den Fischen im türkisfarbenen Wasser gefüllt. Dem korrespondiert farblich das Türkis in der unteren Bildzone, in der eng aneinandergereihte braune Figuren auf einem dicken rostbraunen Boden flanieren. Sie wirken statisch im Gegensatz zu den tanzenden, drängelnden Fischen, die sich von den seitlichen Fotografien aus zur Mitte hin verdichten. Auch der graue Mittelbereich. der die Assoziation von Hafenarchitektur weckt, zentriert sich in wellenartigen Bewegungen. Das satte Braun am Boden der Szenerie taucht in vielen Arbeiten auf und stammt von beigemischten Stahlpigmenten, welche die Künstlerin hat anrosten lassen. Die Oberfläche wirkt trocken.

Ganz anders der Effekt, wenn Graphit und fein gemahlener, dunkler Schiefer beigemischt werden, wie das in Bild 10 der Fall ist. Hier hat die Oberfläche eine leicht glänzende, metallische Beschaffenheit. Marmormehl gibt den Silhouetten der Figuren ihre Helligkeit. Der dunkelbraune, grobfasrige Bogen in der Arbeit Nr. 5 besteht dagegen aus dem Acryl beigegebenen Torf. Darunter blitzt eine blaue Farbschicht hervor. In die mittlere, auf Leinwand montierte Holzplatte ist ein kleines Foto von einer Londoner U-Bahn-Station eingelassen. Der Farbton von deren Boden ist im Farbklang der Leinwand aufgegriffen. Derart steigern die Bilder den Eindruck der Fotografien in Franziska Schemels Werken. Neben diesem harmonischen Ineinander ist auch auf den werkimmanenten Rhythmus der Kompositionen hinzuweisen.

Anfangs waren Franziska Schemels Fotos menschenleer und erst allmählich ist der Mensch hinzugekommen, ist sein Alltag in unspektakulären Szenen visualisiert. So in den drei Fotografien eines Bahnsteigs in Hongkong: links und rechts je ein Zug und im engen Mittelgang, wie in einem Tunnel, ein Passagier. Franziska Schemel reist viel auf der Suche nach Großstadt-Eindrücken und dieses Unterwegssein eignet auch den fotografierten Personen, die an den Orten, wo sie uns begegnen, nicht zu Hause sind. Ihre Vereinzelung in einer oft unterirdischen Architektur gibt dem Anblick etwas Surreales; und das ist auf inhaltlicher Ebene auch die künstlerische Intention, – Irreales und Wirkliches miteinander zu verbinden, so wie im Formalen die Verbindung von Malerei und Fotografie in einem einzigen Werk. Weder die fotografierten noch ihre gemalten Figuren gibt Franziska Schemel als Gehetzte, als unorganisiert Aufgebrochene. Es sind vielmehr Menschen, die ständig in Bewegung und nicht eigentlich sesshaft, beheimatet sind.

Befremdlich wirken die Fotografien und das Video, die in Zusammenarbeit mit dem Performance-Künstler Piotr Tomczyk in Karlsruher Unterführungen und in den Baustellen der U-Bahn dieses Jahr entstanden sind. Die beiden hier gezeigten Objektkästen mit ablaufendem Video gehören zu den Bildobjekten, die daraus hervorgegangen sind und unter dem Titel Die abgrundtiefen Begegnungen in Karlsruhe bereits in der Galerie Knecht und Burster zu sehen waren. Geheimnisvolle Tiefe ist der Titel des Werkes, bei dem man durch ein Oval an der Vorderseite des bemalten Holzkastens auf das Video von einer Tanzperformance in der unterirdischen Baustelle blickt. Umlaufend, im oberen Viertel der Objektaußenseite gemalt, gehen Leute, die von dem Geschehen unter ihnen nichts ahnen können. Die Welt unter dem Asphalt und die darüber erscheinen in einer absurden Allianz. Der Kasten hat einen Spiegel als Boden, ist nach oben offen und inwendig stellenweise orange bemalt, was vom Lichteinfall in einem warmen Ton eingefangen wird. Scheinbar Unvereinbares ineinander zu blenden, Alltägliches aus ungewohnter Perspektive zu sehen, Befremden zu inszenieren und so dem Betrachter einen neuen Erfahrungsraum zu eröffnen, das ist die inhaltliche Dimension in Franziska Schemels Werken. Sie hat dafür eine überzeugende künstlerische Sprache gefunden.

Martina Wehlte

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